Malerei. Schichtungen auf und mit Papier.
Beschäftigung mit bildender Kunst ist immer die Auseinandersetzung mit ihrem Wesen, ihrem Grundsätzlichen.
Dabei müssen Konventionen aufgebrochen und Klischees überwunden werden. Scheinbar Gültiges muss angezweifelt und zu Ende Gedachtes überdacht und hinterfragt werden. Koordinaten lösen sich auf.
Malerei ist physikalisch Auftragen von beispielsweise Farbe/Pigmenten auf einem Träger. Es entstehen Farbschichten. Der Bildträger ist Mittel zum Zweck.
Ich erhebe den Träger (meist Papier) zum gleichwertigen Teil des Prozesses. Durch Reißen und Zerreißen wird das klassische Tafelbild zerstört. Aus vielen (für sich fertigen) beschichteten Bildern entstehen durch Neuschichtung meine Schichtungen, die vieles von dem, was Malerei grundsätzlich ausmacht, auf den Prüfstand stellen.
Risskanten werden sichtbar und erklären die Materialhaftigkeit. So bearbeitetes und beschichtetes Papier erobert Raum. Wo hört ein Bild auf? Wann ist es Objekt? Wann ist es Skulptur?
Durch das Schaffen von Bildern, die durch Zerreißen zerstört und anschliessend durch Schichtung in neuem Kontext erneut zu Bildern verarbeitet werden, thematisieren sie Werden und Vergehen, Anfang und Ende, Endlichkeit und Neubeginn und verweisen neben der formellen Ebene auf tiefere mystische Fragen nicht nur menschlicher und materieller Existenz. Im wahrsten Sinn des Wortes werden Fragen nach dem, was ist, war und am Ende bleibt, angerissen.
Durch die direkte Kombination und Auseinandersetzung meiner so entstandenen Malerei mit gefundenen Gegenständen meist aus Haushaltsauflösungen, also Dingen, die am Ende eines Lebens materiell wirklich übrig bleiben, wird das Thema der unausweichlichen Vergänglichkeit in den letzten Jahren zunehmend immanent.
Zeit wird unmittelbar spürbar. Meine Malerei wird zum sichtbaren (Zwischen-) Ergebnis eines dynamischen und prozesshaften künstlerischen und nichtkünstlerischen Vorgehens.
Darüber hinaus bringe ich meine Malerei in einigen Arbeiten zum einen in Verbindung mit Fotos pathohistologischer Präparate verschiedener Erkrankungen (und damit potentiellen Todesursachen) und zum anderen mit konkreten Todesanzeigen aus der Tageszeitung. Neben dem abstrakten, formalen, kompositorischen und aus dem Kontext gerissenen malerischen Potential sowohl der formal "bunten und schönen" (in Wahrheit bedrohlichen) pathohistologischer Bilder als auch der Todesanzeigen mit ihren grafischen Reduktionen erhebe ich sie zu Mitspielern und Partnern meiner Malerei. Aus einer allgemeinen Frage, was am Ende bleibt, wird etwas Konkretes, Individuelles und Persönliches. Die Malerei ist genauso einmalig und personenbezogen wie es die pathohistologische Aufarbeitung Biopsien kranker Organe und Patienten oder Todesanzeigen als letzter Abschied von einem womöglich geliebten Menschen sind. Durch die absolute Gleichbehandlung und das Zerreisen der Malerei auf Papier und der Fotos bzw. Zeitungsausschnitte verschwimmen die Grenzen.
Kunst entsteht aus und wegen Kunst. Der Zyklus „meine Kunst entsteht aus deiner Kunst und umgekehrt“ setzt dies unmittelbar um. Durch Gleichbehandlung von Abbildungen diverser Kunstwerke mit meiner zugrunde liegenden Malerei – also Zerreißen und dem geschichteten Ineinander-, Übereinander- und Miteinanderbringen beider Anteile - entstehen neue Arbeiten. Meine Malerei agiert mit und reagiert auf vorhandene. Fast wie in einem Kreislauf nimmt Kunst Kunst in sich auf. Die Grenzen verblassen und verschwinden ganz. Durch die Kleinformatigkeit entsteht keine Wertung, aber die Chance ein weiteres immanentes Problem der Kunst zu thematisieren: die Inflation. In dem Bewusstsein, Teil der Inflation zu sein, treibt dieser Prozess die Inflation weiter und macht sich diese zu eigen: aus viel entsteht noch mehr.
"Buchartige Potentiale" werfen erneut grundsätzliche Fragen der menschlichen insbesondere kulturellen Existenz und Leistung des Menschen auf. Es sind keine Bücher, aber sie bedienen sich der Assoziation damit. Bücher sind in der analogen Welt die Manifestation des Wissens. In den Büchern ist das Wissen der Welt festgehalten. Die Buchartigen sind offen, leer und damit potentiell mit Wissen anfüllbar. Was ist Wissen? Welches Wissen ist es wert, in Büchern festgehalten zu werden? Welches Wissen wird überdauern? Damit beinhalten meine "Buchartigen" das Potential aller Bücher und werden so zu "Buchartigen Potentialen" und lassen als "Malereigefüge aus Form, Farbe und Raum" (Zitat A. Faller in der Publikation zu FURTWANGER KUNSCHTstückle 2021) alles Denkbare zu. Bücher sammeln Gedanken, Inhalt, Konzepte und Worte und damit elementare und grundlegende Ideen, die auch und gerade in der Kunst Voraussetzung und gleichzeitig Erklärung für sie sind. Damit zeigen sie die intellektuelle, inhaltliche und konzeptionelle Basis nicht nur meiner Kunst und fragen gleichzeitig danach.
Nach dem Fund von Imkerrähmchen war es nur konsequent, Wachs als malerische Mittel auszuprobieren und einzusetzen. Wachs ist ein jahrtausendaltes Material mit vielschichtigen Einsatzmöglichkeiten. Es konserviert und bewahrt, bedeckt und umgibt, verschleiert, versucht festzuhalten, härter aus, schützt und bleibt dennoch sehr verletzlich. Als Malmaterial bildet es neue, abschliessende oder grundlegende, auch manchmal nur lasierende Schichten im System meiner Schichtungen und wird dabei nicht nur Teil, sondern selbst Malerei.